490 Grad

Wenn aus Antifaschismus Ideologie wird: Die Assoziation gegen Antisemitismus Osnabrück

Ah, ich dachte schon, die Geister, die man rief, seien wieder verschwunden. Aber nein, die „Assoziation gegen Antisemitismus Osnabrück“ – unsere lokale antideutsche Gruppe hier in Osnabrück – ist anscheinend wiederauferstanden oder war nie wirklich weg. Man könnte jetzt direkt in die üblichen Reflexe verfallen und die altbekannten Grabenkämpfe aufwärmen. Aber gut, ich werde mal versuchen, nicht sofort in meine eigenen Vorurteile abzudriften, und stattdessen anhand einiger ihrer Blogbeiträge aufzeigen, wofür sie stehen, aber vor allem, warum sie innerhalb der Linken zurecht – um es höflich auszudrücken – sehr umstritten sind.

Die Texte zeichnen ein klares Bild einer Weltanschauung, die auf wenigen, aber sehr starren Säulen ruht. Um ihre Argumentationsmuster zu verstehen, lohnt sich ein genauerer Blick.

Teil 1: Kritische Einordnung der Antideutschen aus linker Perspektive

Die „antideutsche“ Strömung ist ein spezifisch deutsches Phänomen innerhalb der radikalen Linken, das nach der Wiedervereinigung 1990 an Bedeutung gewann. Ihre Entstehung war eine Reaktion auf den aufkeimenden deutschen Nationalismus und Rassismus. Aus einer kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, insbesondere dem Nationalsozialismus und dem Holocaust, leiteten Antideutsche radikale Schlussfolgerungen ab, die sie von weiten Teilen der restlichen Linken unterscheiden.

Zentrale Thesen der Antideutschen:

Kritik aus anderer linker Perspektive:

Teil 2: Analyse der Argumentationsmuster der "Assoziation gegen Antisemitismus Osnabrück"

Bevor wir in die einzelnen Argumente eintauchen, fällt der durchgehende Ton der Beiträge auf: Er ist nicht nur kritisch, sondern oft aggressiv polemisch und schreckt vor einer Sprache nicht zurück, die man als herabwürdigend und teils hasserfüllt bezeichnen kann. Dies zeigt sich in den folgenden Mustern.

1. Die Methode: Öffentlicher Brief und die dankbare Presse (Der Hasepost-Artikel)

Der Artikel der Hasepost zum CSD 2025 zeigt mustergültig die Arbeitsweise der Gruppe. Anstatt den direkten Dialog zu suchen, wird ein "Offener Brief" verfasst und umgehend an die Medien weitergeleitet. Wenig überraschend fand dieses Vorgehen bei der Hasepost einen besonders dankbaren Resonanzboden. Dessen Herausgeber ließ es sich nicht nehmen, die Vorlage aufzugreifen – ganz im Sinne der bekannten publizistischen Linie des Blattes, die sich oft durch eine scharfe Tonalität gegenüber linken Akteur:innen und Positionen auszeichnet. Der Artikel stützt sich fast ausschließlich auf die Darstellung der "Assoziation", rahmt den Vorfall als "Antisemitismus-Verdacht" und verleiht einer kleinen Gruppe durch die mediale Wiedergabe eine Reichweite und Relevanz, die sie aus sich heraus vermutlich nicht hätte. So wird aus einem verblassten Aufkleber ein Politikum, das etablierte Politiker:innen öffentlich unter Druck setzt.

2. Dämonisierung und Verdacht: “Standing for DIVERSITY EXCLUDES ANTISEMITISM”

Auf dem CSD wird eine palästinensische Flagge nicht als mehrdeutiges Symbol, sondern unmissverständlich als Zeichen einer "menschenfeindlichen Gesinnung" interpretiert. Der CSD sei für die tragende Person bloß eine "willkommene Gelegenheit", diese Gesinnung zu propagieren. Symbole wie das rote Dreieck oder die Kufiya werden alternativlos mit der Hamas gleichgesetzt, andere Lesarten werden als bewusste "Hirnverdrehungen" abgetan. Die Maxime der Gruppe wird explizit formuliert: „muss man stets vom Schlimmsten ausgehen“. Diese hermeneutische Paranoia gipfelt in der absurden Hochstilisierung der Entfernung von Stickern zu einer „symbolischen ethnischen Säuberung“. Diese Wortwahl ist eine zutiefst polemische und für diesen Diskurs typische Trivialisierung historischer Verbrechen, um dem eigenen Anliegen maximale moralische Fallhöhe zu verleihen und den politischen Gegner zu dämonisieren.

3. Selektive Solidarität: “Antisemitismus und Queerfeindlichkeit im Hier und Jetzt entgegentreten”

In der Rede zum Gedenken an die queeren Opfer des NS wird die heutige Queerfeindlichkeit prominent in "religiös-fundamentalistischen Kreisen" und "migrantisch-patriarchalen Milieus" verortet. Die linke Öffentlichkeit bleibe bei diesem Thema "auffallend still". Dies wird als mutiges Aussprechen einer Wahrheit inszeniert, das sich gegen eine angebliche linke "Selektivität der Empörung" richte. Israel wird zum alleinigen Schutzraum stilisiert, zum „einzigen Ort im Nahen Osten, an dem Queers offen leben“. Der in linken Kreisen geäußerte Vorwurf des "Pinkwashings" wird im Gegenzug als antisemitische Hetze diffamiert. Es wird eine klare Hierarchie der Kämpfe aufgestellt: Das paraphrasierte Sartre-Zitat am Ende legt nahe, dass der Kampf gegen Antisemitismus die Bedingung und Voraussetzung für alle anderen emanzipatorischen Bemühungen sei.

4. Konstruktion einer islamistischen Unterwanderung: “Antisemitismus und Anti-Israelismus in Osnabrück”

Dieser Text zeichnet das verschwörungstheoretische Bild einer systematischen Unterwanderung Osnabrücks durch den "politischen Islam". Verschiedenste Akteur:innen – DITIB, "Palästina Spricht", das Uni-Institut für Islamische Theologie, muslimische Sozialarbeiter:innen in der Jugendhilfe – werden ohne Belege in ein pauschales Netzwerk von Islamisten, türkischen Faschisten ("Graue Wölfe") und Antisemit:innen eingebunden. Lokale Institutionen und die Presse seien in einer "butterweichen" Haltung oder in einem "scheinbar ausgewogenen Stille" verfallen und ignorierten diese Gefahr. Die Sprache ist auch hier abwertend, wenn von einer Demonstration mit "folkloristisch strenger Teilung der Geschlechter" gesprochen wird, was orientalistische Stereotype bedient. Die Gruppe inszeniert sich so als einsame Warnerin in der Wüste.

5. Abwehr von Kritik durch Zensurvorwurf: “Eine Mafia gibt es nicht!”

Als die Gruppe auf einer feministischen Demo gebeten wird, ein Transparent mit der Aufschrift "Wer aber vom Kopftuch nicht reden will, soll auch vom Feminismus schweigen" einzurollen, wird dies als Akt der Zensur interpretiert. Die Sensibilität anderer, hier als "Unwohlsein" von "mehrfach marginalisierten" Personen beschrieben, wird nicht als legitimes Anliegen innerhalb eines Bündnisses anerkannt, sondern als Versuch gewertet, eine unbequeme Wahrheit zu unterdrücken. Der Dialogversuch des Awareness-Teams und die Aussage einer Organisatorin, "Auf Diskussionen hat hier heute keiner Lust", wird nicht als pragmatische Entscheidung im Rahmen einer Demo, sondern als prinzipielle Verweigerung von Diskurs umgedeutet. Die Situation wird mit der Leugnung der Existenz der Mafia verglichen – eine polemische Metapher für eine vermeintlich unsichtbare, aber mächtige Kraft, die Kritik mundtot mache.

6. Zynische und entmenschlichende Rhetorik: “Israel, der Nahe Osten und wir”

In diesem Redebeitrag erreicht die Sprache ein neues Niveau der Entwürdigung. Die palästinensische Gesellschaft wird als eine dargestellt, die in ihrer „politischen Ökonomie ausgerichtet auf die systematische Produktion von Leid, Schmerz und Tod“ sei. Opfer würden quasi absichtlich produziert, um internationale Gelder zu akquirieren. Die im Text explizit formulierte "Rechnung" lautet: "für jeden toten Körper und dessen Bild x-Millionen Euro". Diese hasserfüllte und zutiefst entmenschlichende Sichtweise, die sich auch des Begriffs "Pallywood" bedient, spricht den Palästinenser:innen jegliche legitime politische Motivation ab und reduziert ihren Widerstand auf eine makabre, profitorientierte Inszenierung. Sie dient dazu, jegliche Empathie mit zivilen Opfern im Keim zu ersticken.

Fazit

Die "Assoziation gegen Antisemitismus Osnabrück" agiert als klassische antideutsche Gruppe. Ihre Methode ist die öffentliche Konfrontation, ihr Weltbild dualistisch: Hier die unbedingten Verteidiger:innen Israels und der westlichen Zivilisation, dort ein diffuses Bündnis aus Linken, Islamist:innen, Antizionist:innen und naiven Gutmenschen, die alle (bewusst oder unbewusst) das Geschäft der Antisemit:innen betreiben.

Aus einer linken Perspektive ist dieser Ansatz fatal. Er ersetzt materialistische Analyse durch Ideologiekritik, spaltet Bewegungen durch aggressive Abgrenzung und reproduziert mit seiner undifferenzierten Kritik am "politischen Islam" antimuslimische Ressentiments. Statt Brücken zu bauen und gemeinsame Kämpfe zu ermöglichen, gräbt er Gräben und sorgt dafür, dass sich am Ende alle in ihrer eigenen Bubble verschanzen. Die dabei verwendete Sprache ist oft nicht nur spaltend, sondern in ihrer Polemik und ihren herabwürdigenden Charakterisierungen von politischen Gegner:innen selbst ein Hindernis für jeden emanzipatorischen Diskurs. So wird der dringend notwendige Kampf gegen echten Antisemitismus konterkariert und zu einem Instrument im innerlinken Richtungskampf degradiert.


Noch ein paar letzte Gedanken zum Hasepost-Artikel: Der Artikel ist mehr als nur ein Bericht; er ist eine aktive Verstärkung der antideutschen Position und zeigt, wie effektiv deren Medienstrategie sein kann:

Die Schaffung eines Narrativs durch Schweigen: Der journalistische Aufbau des Artikels ist entscheidend. Er präsentiert zuerst die Anschuldigung der "Assoziation", fragt dann bei den Beschuldigten (Linkspartei, CSD-Orga) an und stellt deren ausbleibende Antwort prominent heraus ("Trotz mehrfacher Nachfragen ... antwortete weder..."). Dieses Vorgehen erzeugt den Eindruck, die Vorwürfe seien so schwerwiegend, dass die Beschuldigten sprachlos sind, was implizit die Position der Ankläger:innen stärkt. Das Schweigen wird zur Nachricht.

Redaktionelle Flankierung statt neutraler Berichterstattung: Der Artikel belässt es nicht dabei, den offenen Brief wiederzugeben. Die Redaktion fügt von sich aus lange Absätze über die Tel Aviv Pride und die rechtliche Situation für queere Menschen in Israel ein. Diese Abschnitte dienen nicht der neutralen Einordnung, sondern untermauern aktiv die Argumentation der "Assoziation". Der Artikel liefert die "Beweise" für die Thesen des offenen Briefes gleich mit und übernimmt damit dessen Weltbild.

Der Appell an die höhere Autorität: Die abschließende, wenn auch knappe, Stellungnahme des Zentralrats der Juden ("verwunderlich") dient als autoritative Bestätigung. Sie hebt den Konflikt von einer lokalen Auseinandersetzung auf eine höhere Ebene und verleiht der Kritik der kleinen "Assoziation" das Gewicht einer offiziell anerkannten jüdischen Vertretung.

Die Macht der Provokation: Der ganze Vorgang zeigt, wie eine kleine Gruppe mit einer gezielten Provokation (Offener Brief zu einem Sticker) und der Wahl eines willfährigen Mediums eine erhebliche politische Wirkung entfalten kann. Sie zwingt eine Bundestagsabgeordnete und eine ganze Partei in eine defensive Position, aus der es kaum ein Entrinnen gibt, da jede Antwort im bereits gesetzten antisemitismuskritischen Rahmen interpretiert werden würde.